In den Bergen von Oaxaca
Endlich ist der Tag gekommen, an dem wir zu neuen Abenteuern aufbrechen können! Unser erstes Ziel kommt eher zufällig zustande. Am Morgen des Abfahrtstags wissen wir noch nicht so recht, ob wir an den Pazifik fahren oder doch eher noch etwas länger die angenehmen Temperaturen in den Bergen von Oaxaca geniessen sollen. Der Titel verrät es bereits: Wir entscheiden uns spontan für die Berge.
Nachdem wir das Verkehrschaos in Oaxaca Stadt hinter uns gelassen haben, biegen wir irgendwann auf die MEX 135 nach Norden ab. Wir haben uns für heute das Reserva de la biosfera Tehuacán-Cuicatlán zum Ziel gesetzt. In diesem Biosphärenreservat gibt es nämlich die Möglichkeit auf ganz spezielle Wildtiere zu treffen, was uns natürlich sofort ins Auge stach, als wir über einen Artikel dazu gestolpert sind.
Die Strasse ist kurvenreich und schlängelt sich durch eine hügelige Landschaft voller Kakteen. Die Fahrt ist aber angenehm, da wir selten an einem Dorf vorbeikommen und somit auf fast keine Topes treffen. Wir geniessen es einfach nur, wieder «on the road» zu sein!
Nach ca. 3 Stunden kommen wir in San José del Chilar an. Hier haben wir auf unserer Planungskarte die Koordinaten als Ausgangspunkt für die Wanderung zu den besagten Wildtieren gesetzt, die wir gerne sehen würden.
Wir parkieren am Eingang zu einem netten kleinen Hof mit «Comedor» (=Essgelegenheit) und «Cabañas» (=Hütten zum Übernachten). So gut es geht fragen wir nach der Wanderung zu den Guacamayas verdes und nur kurze Zeit später begrüsst uns tatsächlich der verantwortliche Guide Señor Isidro López. Er erklärt uns einige Dinge über die seltenen endemischen Guacamayas, wovon wir zwar nur die Hälfte verstehen, zumindest wissen wir nach dem Gespräch aber, dass wir morgen um 14.00 Uhr zur Wanderung starten können.
Übernachten dürfen wir mit unserem Auto im Hof. Als wir uns beginnen einzurichten, sprich das Dach hochklappen und Tisch und Stühle rausholen, sind wir innert kürzester Zeit umringt von der gesamten mexikanischen Familie, die den Ort hier führt. Wir finden heraus, dass Keren und Saúl brandneue Besitzer des Grundstücks sind (seit 3 Tagen) und offenbar das erste Mal in ihrem Leben Overlander wie uns sehen. Alle sind total aus dem Häuschen, wollen jedes Detail von Baloo sehen und sind neugierig woher wir kommen und wer wir sind. Wir werden mit Fragen gelöchert, auf Fotos und Facebook verewigt und bekommen als Begrüssung Bier, Tequila und Quesadillas spendiert. Leider können wir uns immer noch nicht so gut in Spanisch ausdrücken, wie wir es uns wünschen würden und neben der ganzen Überwältigung ab der entgegengebrachten Gastfreundschaft gehen wir an diesem Abend auch mit einem Gefühl von Unmut über die gegebene Situation zu Bett.
Auf Iguanajagd
Saúl und sein Freund Isaac bestehen darauf, dass wir sie vor der anstehenden Wanderung zum Fischen begleiten und so kam es, dass wir nun nicht nur die halben Einwohner von San José del Chilar, sondern auch den lokalen Fluss kennen. Bei brütender Hitze (ca. 40°C) schlendern wir dem Ufer entlang und können uns im seichten Wasser nur mässig abkühlen. Saúl begibt sich ins Wasser und wirft sein Netz aus, während Isaac uns die hiesige Flora und Fauna erklärt. Auf einmal zeigt er mit seinem Finger auf die üppig grüne Baumkrone eines mächtigen Baums und wiederholt die Worte «Mira … una iguana!» Ich schaue ganz genau in die Richtung seines Zeigefingers, kann aber beim besten Willen nirgends eine Iguana - eine Echse - ausmachen. Plötzlich nimmt er eine Steinschleuder (ja richtig gelesen!) hervor und schiesst zielsicher auf sein erspähtes Objekt, um dann zwischen den Büschen, die sich unter dem Baum befinden, zu verschwinden. Ich traue meinen Augen nicht als er nur wenige Sekunden später mit einer Iguana zurückkommt, die etwa die Grösse seiner Handfläche aufweist. Es wird mir auch Tage später noch ein Rätsel sein, wie er die grüne Echse im grünen Baum (sie hatte den genau gleichen Farbton) ausmachen konnte. Ohne zu fragen bekomme ich die Echse in die Hand gedrückt und bin in dem Moment froh, dass Reptilien bei mir nur zu der Sorte Tiere mit Ekelfaktor «mässig» gehören. Der Stein war wohl etwas gross für das arme Tier und so zuckt es nur noch ein paar Mal in meinen Händen bis ewige Ruhe einkehrt. Immerhin wird die Echse anschliessend würdevoll im Sand beigesetzt.
Fliegende Sensation
Es ist 14.00 Uhr, die Rücksäcke sind gepackt, Sonnencrème ist eingeschmiert, die Trinkflaschen gefüllt und wir warten in der gleissenden Nachmittagssonne darauf, dass wir endlich loswandern können. Der Start hat es gleich in sich, es geht steil bergauf. Etwa eine Stunde lang wandern wir einem breiten von Kakteen gesäumten Weg entlang. Obwohl wir sehr langsam gehen, bin ich bereits in der Hälfte des Hinweges total erschöpft und die Hitze macht mir zu schaffen. Mathias geht es nicht viel besser.
Zum Glück ebnet sich dann der Weg und wir kommen zu einem Abschnitt mit vielen Bäumen, die etwas Schatten spenden. So schaffen wir die 6km zu unserem Ziel doch einigermassen gut und kommen nach zwei Stunden beim «Mirador», einem Holzverschlag mit einer schmalen Öffnung zum Durchblicken an.
Wir sind zu früh und müssen noch etwa eine Stunde bis zum Sonnenuntergang warten. Dann soll nämlich das Spektakel losgehen. Es herrscht Totenstille. Wir schauen müde am Boden sitzend durch die Öffnung des Miradors an die Felswand auf der anderen Seite des Canyons, zu dem wir hochgewandert sind und stellen schon mal das Stativ auf und probieren ein paar Kameraeinstellungen aus. Auch Isidro und sein Hund scheinen erschöpft zu sein. Beide machen ein Nickerchen.
Kurz vor 18.00 Uhr durchbricht auf einmal ein entferntes Krächzen die Stille und Isidro schreckt auf…
… und kommt zu uns. Er deutet uns die Himmelsrichtung, in die wir schauen sollen … und dann sehen wir sie. Die ersten Guacamayas verdes kommen angeflogen!
Guacamayas verdes (Ara militaris mexicanus) oder Soldatenaras sind eine vom Aussterben bedrohte endemische Papageienart, die hier in den Bergen Oaxacas überlebt hat. Die Population besteht aus etwa 60 Paaren, die in den Felswänden des «Cañon del Sabino» leben. Aufgrund ihres langen Schwanzes können die Tiere eine Länge von 80cm erreichen und sind auffallend bunt gefärbt, wobei die grüne Farbe dominiert. Es gibt noch weitere Orte in Lateinamerika, wo andere Subspezies dieser Art leben. Insgesamt gibt es weltweit schätzungsweise weniger als 10'000 Individuen. Hier in Oaxaca verkleinerte sich der Bestand zwar in den letzten Jahren nicht, er wurde aber auch nicht grösser.
Innerhalb der nächsten Stunde wird es immer wie lauter und wir sehen, wie nach und nach immer wieder einzelne Paare angeflogen kommen. Wenn wir Glück haben, drehen sie eine Runde im Canyon, damit wir die ganze Farbenpracht ihres Federkleids zu Gesicht bekommen, bevor sie sich in den Bäumen über dem Canyon absetzen und schliesslich in den Nischen der Felswand verschwinden. Bereits nach Einbruch der Dunkelheit treten wir den Rückweg an und wandern die ganzen 6km in kompletter Finsternis zurück. Wir sind froh, dass Isidro an Stirnlampen gedacht hat und dass uns sein Hund begleitet, denn in diesem Gebiet gibt es Pumas und Wildschweine.
Nach wiederum zwei Stunden kommen wir todmüde, aber sehr zufrieden beim Auto an. Diese seltenen Vögel in freier Wildbahn gesehen zu haben, war wahnsinnig aufregend, aussergewöhnlich und irgendwie magisch. Dies sind Momente, an die wir immer gerne zurückdenken und die wir sicher nie vergessen werden. Momente, die uns glücklich machen und über die wir unglaublich dankbar sind, dass wir sie erleben dürfen.